DJHT Nachlese

Vormundschaftspraxis neu denken: Jugendamt und

Ehrenamt stärken gemeinsam Kinderrechte!

Panelveranstaltung auf dem Deutschen Jugendhilfetag am Dienstag, 13. Mai 2025

Was bedeutet es, unter Vormundschaft aufzuwachsen? Wie erleben junge Menschen ihre Rechte – oder den Mangel daran? Diesen Fragen widmete sich unser erstes Panel auf dem Deutschen Jugendhilfetag 2025 in Leipzig. Die Veranstaltung fand am Dienstag, den 13. Mai, von 15:15 bis 16:45 Uhr statt und wurde gemeinsam von Careleaver e.V. und dem Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft ausgerichtet. Moderiert wurde sie von Laura Brüchle (Careleaver e.V.) und Ruth Seyboldt (Bundesforum Vormundschaft).

Mit auf dem Podium: Fachkräfte aus der Praxis, engagierte Vormund*innen, Pflegemütter – und vor allem: junge Erwachsene mit eigenen Erfahrungen in der Vormundschaft- Samira und unsere Vorständin Jana.  Karn Born als unserer Vorstandsvorsitzender rundete die Veranstaltung mit einem Abschließenden Wort ab. Auch Jugendhilfeforscher Prof. Dr. Wolfgang Schröer bereicherte das Panel mit einem Impuls aus der Forschung.

Kindeswohl und Kinderrechte gemeinsam denken

Prof. Dr. Schröer eröffnete mit einem Plädoyer gegen eine künstliche Trennung von Kindeswohl und Kinderrechten. Beteiligung sei kein „pädagogisches Mittel“, sondern ein Recht, das auch dann gilt, wenn es unbequem oder konfliktträchtig wird. Er betonte, dass Kinder- und Jugendhilfe neu gedacht werden müsse: Nicht „starke Kinder“ seien das Ziel, sondern ein System, das Beteiligung für alle – auch für verletzliche Kinder und Jugendliche – möglich macht.

Vormundschaft könne in diesem Zusammenhang nicht allein auf Einzelpersonen gestützt werden. Vielmehr brauche es verlässliche Infrastrukturen, die Vormund*innen bei ihrer anspruchsvollen Aufgabe unterstützen. Denn Rechte ohne Ressourcen seien ein schlechter Witz – insbesondere für junge Menschen, die auf rechtliche Vertretung angewiesen sind.

Die eindrücklichsten Beiträge kamen von jungen Erwachsenen mit Careleaver-Erfahrung. Samira schilderte sehr ehrlich, wie sie ihre erste Vormundin zunächst gar nicht kannte – und nicht verstand, warum diese plötzlich für sie entscheiden sollte. Erst durch echtes Zuhören und respektvolle Auseinandersetzung konnte ein Vertrauensverhältnis entstehen. Als sie selbst eine Entscheidung treffen wollte, die ihre Vormundin kritisch sah, unterstützte diese ihren Wunsch dennoch. Die Erfahrung, eigene Entscheidungen treffen zu dürfen, war für Samira zentral.

Ganz anders verlief es mit einer späteren Vormundin: Hier zählten nur die Einschätzungen von Fachkräften – Samiras eigene Perspektive wurde ignoriert. Dieses Gefühl, nicht gesehen oder gehört zu werden, teilen viele junge Menschen in der Jugendhilfe.

Jana, Vorständin bei Careleaver e.V., berichtete von ihrer Vormundin, die ihre Rechte anerkannte und sie in Entscheidungen einbezog – auch in schwierigen familiären Situationen. Obwohl Jana an ihrer Pflegefamilie festhalten wollte, respektierte die Vormundin ihren Willen. Als Jana schließlich selbst den Auszug wählte, wurde dieser Prozess eng begleitet. „Ich wurde nicht rausgeholt – ich bin gegangen, und sie ist mit mir gegangen“, so Jana.

Jana machte auch deutlich: Viele junge Menschen wissen gar nicht, dass sie eine Vormundin oder einen Vormund haben – oder erleben diese als unzugänglich, fremd und unbeteiligt. Dabei müsste genau diese Person an ihrer Seite sein – parteilich, zugewandt und verlässlich.

Das Panel beleuchtete auch andere Perspektiven: Eine Pflegemutter erzählte, wie ihr Pflegesohn in die Entscheidung eingebunden wurde, ob die Pflegeeltern selbst die Vormundschaft übernehmen. Zunächst sei eine Vereinsvormundin wichtig gewesen, später sei gemeinsam eine Lösung entwickelt worden. Deutlich wurde dabei, wie komplex die rechtlichen, finanziellen und emotionalen Anforderungen an Pflegeeltern sind – insbesondere rund um Volljährigkeit, Versicherungsfragen oder finanzielle Ansprüche. Die Forderung: Pflegeeltern brauchen Beratung, Unterstützung und eine Anlaufstelle, die sie ernst nimmt und stärkt.

Markus Niebuhr als ehrenamtlicher Vormund verwies auf die hohen bürokratischen Hürden, aber auch auf den Vorteil, als Ehrenamtlicher mehr Zeit und Beziehungsqualität einbringen zu können – allerdings auch mit dem Hinweis: Ohne Struktur und Schulung können auch gut gemeintes Engagement an Grenzen stoßen.

„Selbstvertretung ist Empowerment“

Karn Born, Vorstandsvorsitzender von Careleaver e.V., betonte die enorme Bedeutung von Selbstvertretung. Der Verein sei für viele junge Menschen eine Quelle von Sicherheit, Austausch, Solidarität und Schwarmwissen. Careleaver wüssten selbst am besten, was sie brauchen – was ihnen gefehlt hat – und was sich ändern muss. Die Stimme junger Menschen sei kein Zusatz, sondern zentrale Ressource für eine kindgerechte und menschenrechtsorientierte Jugendhilfe.

 

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