Austausch unter ehemaligen Pflegekindern
Sonntag 6. Oktober von 14 - 17 Uhr
Careleaver verbindet, dass sie nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen. Abhängig davon, ob sie in einer Pflegefamilie oder in einer Einrichtung der stationären Jugendhilfe leben, machen sie aber auch sehr unterschiedliche Erfahrungen. Deshalb, fand unser Mitglied André Neutag, braucht es Räume, in denen ehemalige Pflegekinder über ihre spezifischen Erfahrungen sprechen können.
André,wie kamst du auf die Idee, eine Austauschgruppe für ehemalige Pflegekinder ins Leben zu rufen? Was war deine Motivation?
Das Interesse an einem Austausch hatte ich schon lange, aber erst nach dem Studium begann ich aktiv danach zu suchen. Ich erlebte diese Zeit des Übergangs als Belastung, weil sich ein gefühltes Loch aufgetan hat. Und da ich das schon aus früheren Lebensstationen kannte, z.B. beim Übergang von der Schule in die Ausbildung, forcierte ich die Suche nach einem niedrigschwelligen Angebot, um mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen, wie sie solche möglichen psychischen Krisen bewältigen. Denn für mich war klar: Es gibt einen (biografischen) Zusammenhang zwischen der Pflegekinderzeit und der Gegenwart. Ich habe abgewogen, ob eine erneute Psychotherapie oder aber ein Peer-Angebot für mich das Richtige ist. Als ich bei der Suche feststellte, dass es gar kein Peer-Angebot (in Leipzig) gab, bin ich durch Zufall auf das Careleaver* Kollektiv Leipzig gestoßen, über das ich dann selbst die Verantwortung übernahm und die Gruppe „Wir für Uns“ zusammen mit Devica damals gründete.
Seit wann gibt es die Gruppe und wie sind deine bisherigen Erfahrungen?
Die Gruppe gibt es jetzt seit fast zweieinhalb Jahren. Zu Beginn war es eine große Herausforderung, an andere (ehemalige) Pflegekinder zu kommen. Diese Lebenserfahrung ist kein offensichtliches „Label“, weswegen es schwierig ist herauszufinden, über welche Kanäle ein solches Angebot seine Zielgruppe erreicht. Zugleich zeigt sich: Wer uns findet, hat ein echtes Interesse am Austausch. Denn mit jeder neuen Anfrage geht ja auch ein Stück weit immer die Preisgabe eigener Verwundbarkeit und Verletzlichkeit einher. Das Sprechen über Erfahrungen ist eine Stärke, die ein Maß an Selbstreflexion erfordert. In der Gruppe sind Menschen, die genau das können.
Warum braucht der Austausch unter Pflegekindern einen eigenen Raum, inwiefern unterscheiden sich die Erfahrungen von Menschen aus der stationären Jugendhilfe??
Inwiefern sich die Erfahrungen von Menschen aus der stationären Jugendhilfe von denen von Pflegekindern unterscheiden, vermag ich nicht einzuschätzen. Dazu kenne ich zu wenige Biografien aus dem stationären Setting. Ich wage allerdings die Hypothese, dass die Gemeinsamkeit zwischen allen diesen Menschen sein kann, Entwicklungsbedingungen zu haben, die durch Diskontinuität, Unzuverlässigkeit und einen Mangel an elterlicher Fürsorge geprägt waren.
Den eigenen Raum für Pflegekinder halte ich deshalb für sinnvoll, weil es nochmal eigene Erlebnisse gibt, die mutmaßlich nicht im stationären Kontext da sind. Das ist insbesondere der enge familiäre Rahmen, in den Pflegekinder kommen. Damit einhergehend ergeben sich mitunter Identitätskrisen, wozu „man“ nun eigentlich gehöre. „Wer ist meine Mutter? Ist meine Pflegemutter meine neue Mutter? Darf ich meine Pflegemutter Mutti nennen?“ Diese Art von Fragen sind Themen, mit denen sich ein Teil der Pflegekinder im weiteren Aufwachsen mitunter auseinandersetzt.
Inzwischen bietet ihr die Treffen hybrid an – d.h. Menschen außerhalb Leipzigs können online teilnehmen. Wie sind deine Erfahrungen bisher damit?
Dafür bin ich dankbar! Zunächst war ich skeptisch, ob das Format so angenommen wird. Allerdings zeigt mir die Teilnahme, dass der Wunsch nach einem Austausch da ist – offenbar ist die Gruppe „Wir für Uns“ die einzige derartige Peer-Gruppe von und für (ehemalige) Pflegekinder in ganz Deutschland.
Was sagst du jemandem, der gerne mal reinschauen würde, sich aber nicht traut weil sie/ er noch niemanden kennt?
Komm vorbei! Trau dich, jede und jeder ist bei uns verschieden. Gemeinsam haben wir unsere Erfahrungen als Pflegekinder. Deine Themen sind bei uns an der richtigen Stelle. Unser Können ist das Zuhören und das Mitfühlen.