Next Level Beteiligung: Wie gelingt sie?

Online-Fachtag „Experts by Experience“

Die wirklich gute Nachricht ist: Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass Beteiligung wichtig ist. Sie fördert das gegenseitige Verständnis für unterschiedliche Perspektiven und hilft, Angebote und Hilfen passgenauer, nachhaltiger und insgesamt besser zu gestalten. Denn diejenigen, die selbst betroffen sind – die „Experts by Experience“ – bringen ihre Erfahrungen direkt in die Prozesse und Strukturen der Jugendhilfe ein.

Mitglieder des Careleaver e.V. haben in den vergangenen fünf Jahren bei rund 250 Veranstaltungen ihr Erfahrungswissen geteilt: bei Fachtagen, Gremiensitzungen, Ausschüssen sowie bei Anhörungen im Bundestag oder als Sachverständige in Sondersitzungen.

Beteiligung ist gut, aber kein Selbstläufer

Meistens ging es dabei darum, anhand der eigenen Lebensgeschichte auf Missstände aufmerksam zu machen, die auch heute noch beim Übergang aus der Jugendhilfe in ein eigenständiges Erwachsenenleben bestehen. Außerdem wurden die innerhalb unserer Community entwickelten Modelle, Ideen und Vorschläge für Verbesserungen eingebracht.

Nach all dieser Zeit fanden wir es wichtig, die Praxis der Beteiligung einmal selbst zum Thema zu machen – zunächst in einem Workshop und anschließend auf unserem jährlichen Online-Fachtag. Wir wollten gemeinsam reflektieren, was gute Beteiligung aus unserer Sicht ausmacht. Denn: Nicht bei allen Veranstaltungen fühlen wir uns gleichermaßen wohl, und nicht überall, wo wir sprechen sollen, fühlen wir uns auch wirklich gehört.

Im vorbereitenden Workshop reflektierten wir unsere eigene Praxis und wollten diese beim Fachtag weitergeben. Umso mehr freute uns, dass über 60 Fachkräfte teilnahmen und großes Interesse daran hatten, zu erfahren, was aus unserer Sicht gute Beteiligung ausmacht.

„Manche fühlen sich angegriffen“

Theresa, die den Fachtag moderierte, eröffnete mit einem Wortlautprotokoll einer Careleaverin, die innerhalb eines Jahres viele Veranstaltungen besucht hatte: „Ich habe ganz unterschiedliche Reaktionen bekommen: Die einen fühlen sich manchmal angegriffen, einige wollen meine ‚Kritik‘ gar nicht richtig annehmen – einfach nur, weil es Kritik ist. Und dann gibt es viele, die mir wirklich zuhören und etwas daraus mitnehmen.“

Anschließend tauschten sich Theresa und Mila (beide im Careleaver e.V. und regelmäßig als Experts by Experience bei Veranstaltungen) in einem lockeren Zweiergespräch darüber aus, was sie in solchen Formaten schon erlebt haben: Was ihnen gut tat, wann sie sich unwohl fühlten – und woran das ihrer Meinung nach lag.

Mila schilderte zum Beispiel die Enttäuschung mancher Organisator*innen, wenn sie offen und ungeschönt aus ihrer Jugendhilfezeit berichtet: „Ich erzähle keine Heldengeschichten – so war es einfach nicht.“ Und Theresa berichtete, wie gut gemeinte Sprüche wie „Deine Vergangenheit hat dich stark gemacht“ sie innerlich aufwühlen können: „Nein, meine Vergangenheit war Mist. Dass meine Mutter so früh verstorben ist, hatte keinen tieferen Sinn.“

Der Dialog, dem die rund 60 Fachkräfte zunächst nur zuhörten, löste im Chat sofort eine lebhafte Diskussion aus: Welche Erwartungen werden an Beteiligung gestellt? Wie ernsthaft wird sie umgesetzt? Ist Beteiligung manchmal ein Feigenblatt – und niemand will wirklich hören, was Careleaver denken oder erlebt haben?

„Mir hätte wirklich geholfen, wenn mir beim Hilfeplangespräch jemand einmal in meiner Sprache erklärt hätte, welche Auswirkungen dieses Gespräch gerade für mich hat“, sagte Mila.

Und Theresa berichtete ehrlich, dass sie bei solchen Veranstaltungen oft unsicher ist, ob das, was sie sagt, überhaupt etwas wert ist. „Viele von uns sind nicht mit dem Gefühl aufgewachsen: Du bist wertvoll. Das sollten Veranstalter wissen.“

Deshalb ist es wichtig, dass es Vorgespräche gibt, dass Careleaver sich sicher fühlen und eine feste Ansprechperson haben – besonders dann, wenn sie auf großen Fachtagen persönliche Geschichten teilen und sich damit sehr verletzlich machen.

Mentimeter-Umfragen: Woher nehmt ihr euer Wissen über Careleaver*innen?

Im Anschluss startete Vicky die erste Mentimeter-Umfrage. Zwischen den einzelnen Programmteilen stellte sie immer wieder Fragen und zeigte die Ergebnisse direkt im Plenum. Das bot spannende Einblicke und regte zum Nachdenken an:

Was braucht es eurer Meinung nach, damit Begegnung auf Augenhöhe gelingt? Die Antworten reichten von Respekt, Vertrauen und Wertschätzung bis hin zu konkreten Dingen wie Aufwandsentschädigung...

Vom offenen Gespräch zum konkreten Werkzeugkoffer

Im weiteren Verlauf führten die Organisatorinnen des Fachtages die Diskussion von den allgemeinen Erfahrungen hin zu konkreten Vorschlägen, wie Beteiligung auf beiden Seiten besser gelingen kann. Corinna, die den Fachtag gemeinsam mit Mitgliedern organisierte und im Careleaver e.V. die Fachveranstaltungen betreut, griff zahlreiche Beispiele auf, die sehr anschaulich zeigten, wie fehlende Macht- und Rollensensibilität Careleaver bei ihrer Beteiligung verunsichern kann.

Sie präsentierte zudem die im Workshop gesammelten „Green und Red Flags“, die zusammen mit weiteren Materialien einen Werkzeugkoffer für gute Beteiligung bilden sollen.

Trotz des durchaus nicht einfachen Themas fand der Fachtag in einer super angenehmen und anregenden Atmosphäre statt. Im Chat tauschten die Beteiligten viele Informationen aus und beantworteten Fragen, die im großen Plenum keinen Platz fanden.

Schön war auch, dass sich erneut einige Careleaver unter den teilnehmenden Fachkräften befanden, die sich in diesem Rahmen offen als „Experts by Experience“ zu erkennen gaben und ihre Erfahrungen einbrachten – und damit das Moderatorinnenteam bereicherten.

Online-Fachtag
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