Familienersatz, Netzwerk oder politisches Sprachrohr?
Der Careleaver e.V. feierte in Frankfurt sein 10-jähriges Jubiläum
Entstanden aus einem Forschungsprojekt der Universität Hildesheim zu „Higher Education without Family Support“, sind die Facetten des Vereins heute so vielfältig wie seine Mitglieder. Beim großen Family & Friends Treffen in Frankfurt kamen Mitglieder, Angehörige und Freundinnen, aber auch Unterstützerinnen und Wegbegleiter*innen zusammen. Im Rahmen einer berührenden Jubiläumsfeier blickten wir gemeinsam zurück auf bisherige Erfolge und den zurückgelegten Weg. Aber auch nach vorn - wofür wir uns weiterhin zusammen stark machen wollen.
Impressionen des Orga-Teams vom Family & Friends Treffen vom 16. - 19. Mai 2024
Donnerstag, 16.05.2024
Vom 16. bis 19. Mai 2024 kamen Careleaver und ihre Unterstützerinnen im Landessportbund Frankfurt zusammen, um ein gemeinsames Wochenende zu verbringen. Anlässlich unseres 10-jährigen Vereinsjubiläums luden wir zum Careleaver „Family & Friends“-Wochenende ein. Anders als bei unseren regulären Netzwerktreffen waren dieses Mal auch Angehörige eingeladen und hatten so die Möglichkeit, uns und den Verein kennenzulernen. Am Donnerstag trafen nach und nach immer mehr Besucherinnen in Frankfurt ein. Da am kommenden Tag unsere Jubiläumsfeier anstand, nutzten wir den Abend für gemeinsame Vorbereitungen wie das Basteln von Hinweisschildern und das Aufhängen von Dekorationen. Natürlich gab es auch ein großes Hallo, und alle nutzten den Abend zum Plaudern.
Freitag, 17.05.2024: Der große Jubiläumstag mit Podiumsdiskussion, Lesung und verschiedenen Workshops
Am Freitag war der große Jubiläumstag! Schon früh am Morgen begannen die Vorbereitungen mit vereinten Kräften. Ab 9:30 Uhr stießen etwa 10 Tagesgäste hinzu, darunter Kooperationspartnerinnen, Gründungsmitglieder und langjährige Unterstützerinnen.
Nach der Begrüßung durch unseren Vorsitzenden Karn Born – inklusive dem obligatorischen Sektkorkenknallen anlässlich unseres 10-jährigen Jubiläums – starteten wir mit einem Podium zur Vereinsgeschichte, das tiefgehende Einblicke in die Entstehung und Entwicklung des Careleaver e.V. bot. Das Podium bestand aus fünf Personen, die den Verein ehrenamtlich oder wissenschaftlich begleiteten und bei der Gründung 2014 mit ins Leben gerufen hatten – das machte die Zeit der Gründung für viele Zuhörer*innen sehr erlebbar.
Der Careleaver e.V. entstand aus dem Projekt „Higher Education without Family support“. Eine Gruppe von etwa zehn engagierten Leuten traf sich regelmäßig, oft ganz ungezwungen in Kneipen und beschloss, einen Verein zu gründen. Bei einem dieser Treffen kam der CareBär ins Spiel, der zu einem Symbol für unseren Verein wurde. Der CareBär steht für den Zusammenhalt und das Überwinden von Herausforderungen, die viele Careleaver kennen.
Auch die Anfangsphase des Vereins war von vielen Herausforderungen geprägt. Der Gründungsprozess scheiterte zunächst und musste erneut durchgeführt werden. Finanzielle Engpässe und begrenzte Kapazitäten erschwerten die Arbeit des Vereins. Doch seit 2019 ist die finanzielle Unterstützung gesichert, was einen großen Unterschied gemacht hat.
Die Uni Hildesheim war von Anfang an ein treuer Partner und Unterstützer, der den Verein stets begleitet hat. Über die Jahre hat sich der Verein stark entwickelt und bietet nun eine Plattform für die bundesweite Selbstorganisation von Careleavern. Das Podium verdeutlichte eindrucksvoll, wie viel der Verein seit seiner Gründung erreicht hat und wie wichtig der Zusammenhalt und das Engagement der Mitglieder sind – denn ohne die vielen helfenden Hände und den Mut, würden wir heute wahrscheinlich nicht hier stehen. Daher vielen Dank an alle Menschen, die den Verein damals mit aufgebaut haben und sich teils weiterhin ehrenamtlich für den Careleaver e.V. engagieren!
Nach dem Podium begann die Lesung von Valeria Anselm, Autorin von „Das ist (nicht) mein Zuhause“. Valeria erzählt in ihrem Buch über ihre Zeit in einer Wohngruppe.
Es war eine schöne, wertschätzende und gleichzeitig berührende Atmosphäre. Valeria ist eine unglaublich starke und inspirierende Frau. Sie hat eine sehr angenehme Stimme und in einem guten Tempo vorgelesen. Die zwei Kapitel, die sie sich zuvor ausgesucht hat, waren passend für den Kontext und unsere Zielgruppe. Sie hat später auch geäußert, dass sie gerne viel mehr selbst Betroffene (Careleaver/Carereceiver*innen) als Publikum hätte, um mit ihnen in Austausch kommen zu können. Momentan wird sie vor allem von Fachkräften und Berufsschulen, sowie Universitäten für angehende Fachkräfte angefragt, was sie aber auch wichtig findet.
Es ging um ihre Erfahrungen innerhalb der Jugendhilfe mit Mitbewohner*innen, Betreuer*innen und viele Gefühle und Gedanken dazu. Sie erzählte von schönen Erinnerungen mit einer Bewohnerin, die ihr backen beigebracht hat und von den vielen Menschen, die in ihrem zu Hause ein- und ausgingen. Die Lesung war sehr gelungen und bereichernd. Es entstand vor allem in der Austauschrunde am Ende eine sehr magische Atmosphäre. Viele haben sich (und ihre Themen) gesehen gefühlt und den Mut gehabt, auch ihre eigenen Erfahrungen zu teilen. Viel Verständnis, Mitgefühl und vor allem Empowerment durch ähnliche Erfahrungen, die verbinden, ist entstanden. So haben sich viele kurz weniger allein und gesehen, mit all dem was Mensch so mit sich trägt, gefühlt. Es war Raum für Austausch von lustigen Ereignissen innerhalb der Zeit in der Jugendhilfe bis hin zu kritischem Hinterfragen von systemischen Begebenheiten, wie z.B. der/die fehlende konstante Bezugsbetreuer*in und allgemein die hohe Fluktuation der Fachkräfte und was das für uns als Jugendliche bedeutet. Die Lesung hat gezeigt, wie wichtig, wertvoll und bereichernd es ist, solche Räume für Careleaver zu schaffen. Es ist wichtig, uns gegenseitig zuzuhören, zu empowern und gemeinsam laut zu werden für unsere Rechte. Nur so kann sich auch etwas verändern. An der Stelle nochmal vielen Dank an Valeria für ihren Mut ihre Geschichte zu veröffentlichen und vor allem für die tolle Lesung. Sie hat das Jubiläum damit total bereichert!
Natürlich war zwischendurch auch für unser leibliches Wohl gesorgt. Besonders mundete der mitgebrachte Jubiläumskuchen unserer Unterstützer*innen der Uni Hildesheim. DANKE dafür!
Nach der Lesung fanden verschiedene Workshops statt. Diese dienten dem Austausch, dem Blick zurück und in die Zukunft und auch der Selbstfürsorge der Careleaver. So gab es mit Hilfe eines Zeitstrahls die Möglichkeit, alle Meilensteine und Stationen des Vereins, mitsamt persönlichen Highlights von den Teilnehmenden, der letzten Jahre festzuhalten. Auf dem Zeitstrahl wurden alle Netzwerktreffen, Vereins-Wochenenden, Workshops, Regionalgruppen-Gründungen etc. aufgeklebt und es konnten persönliche Highlights eingebracht werden. Geleitet wurde der Workshop von Trucy als ehemaliges Vorstandsmitglied.
Dazu gab es noch einen „Selbststärkungsworkshop“. In diesem konnten sich die Teilnehmenden im Journaling-Stil mit einer selbst gewählten Alltagsbelastung auseinander setzen und herausfinden, was es besser und auch, was es schlimmer machen würde. Geführt wurde der Workshop von Claudia Grilletta, die uns als Verein schon länger verbunden ist und einen tollen Stil mitbringt, schwere Themen zugänglich zu machen. Zudem ging es darum, sich mit ungeliebten Eigenschaften an anderen auseinanderzusetzen und was daran vielleicht auch positiv sein könnte. So konnten nochmal neue Blickwinkel zu Situationen und Problemen gefunden werden.
Darüber hinaus gab es einen kreativen Bastelworkshop mit Jamie, bei dem Textilien und ein Banner bemalt werden konnte. Der Workshop lud zum verweilen und quatschen ein und wurde rege genutzt.
Nach den Workshops verabschiedeten wir die Tagesgäste. Der Abend endete mit vielfältigen Aktivitäten, von einem Besuch des Jahrmarktes bis hin zu gemeinsamen Spielen.
Samstag, 17.05.2024
Der Samstag begann mit einer emotionalen Recap-Runde, die uns dazu brachte, tief über die Bedeutung des Careleaver-Seins nachzudenken. Wir reflektierten darüber, wie unsere Vergangenheit unsere Identität prägt und wie wir uns in der Zukunft positionieren wollen. Wir schauten uns nochmal die Möglichkeiten zur Partizipation an und kamen über das Vereinsgeschehen ins Gespräch.
Am Nachmittag machten sich Gruppen in unterschiedliche Richtungen auf, um Frankfurt zu erkunden.
Eine Gruppe bekam eine Tour durch die Waisenhaus- Stiftung von Timo Tratzki. Er erzählte von den tollen Angeboten (wie beispielsweise dem monatlichen Brunch für Careleaver). Wir freuen uns, dass es ein so tolles Angebot in Hessen gibt!
Da die Waisenhaus-Stiftung genau über den sogenannten „Kasematten“ war, lud uns Timo zu einem Rundgang ein. Tief unter der Erde konnten wir uns auf die Spuren der Frankfurter Geschichte machen.
Zwei weitere Gruppen schauten sich das Bankenviertel und die Markthalle an.
Der Tag klang mit einem gemeinsamen Abendessen und verschiedenen lockeren Aktivitäten aus.
Abschlusstag: Sonntag, 19.05.2024
Am letzten Tag legten wir den Fokus auf Entspannung und Reflexion. Angebote wie Meditation und das Gestalten eigener Schlüsselanhänger boten einen ruhigen Ausklang des Wochenendes. In einer abschließenden Feedback-Runde teilten wir unsere Erfahrungen und Erkenntnisse, bevor wir uns auf den Heimweg machten.
Das Careleaver Family & Friends Wochenende war ein Wochenende des Zusammenhalts und der Gemeinschaft, bei dem Careleaver, Carereceiver und Angehörige zusammenkommen konnten.
Wir haben gezeigt, wie weit wir gekommen sind und was wir gemeinsam erreichen können.
Ein großes Dankeschön geht an unser wundervolles Orga-Team. Denn diese haben im vergangenen Jahr mit viel mühseliger Kleinarbeit das Wochenende geplant und nun auch durchgeführt. Vielen Dank daher an Trucy, Karn, Jessi und Jette für euer wertvolles Engagement.
Ein besonders großes Dankeschön geht an die Kurt- und Maria Dohle Stiftung, die dieses inspirierende und ermutigende Wochenende durch ihre großzügige Unterstützung ermöglicht hat. Ihre Spenden haben dazu beigetragen, dass wir uns vernetzen, stärken und gemeinsam in eine positive Zukunft blicken konnten.
Euer Orga-Team
Laura, Trucy, Jette, Karn, Jessi, Corinna